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in der Erna-Kronshage-Recherche zu Internierung, Deportation

& Ermordung

 

  • Da die Krankenakte nicht auffindbar scheint - und von Internierung und Deportation keine Schriftstücke mit einer Namensnennung oder personalen Zuordnung überliefert scheinen, endet die dokumentarische Zuordnung der Ereigniskette um Erna Kronshage mit den Eintragungen in der "Erbgesundheitsgerichts-Akte" von 1943 - und allenfalls noch mit der Nennung auf den einschlägigen "Verlegungs-Listen".
  • Warum man Erna Kronshage trotz der diesbezüglichen Interventionen des noch sorgeberechtigten Vaters (Erna war damals noch nicht  "volljährig"!) nicht entlassen sondern interniert hat - und sie stattdessen mitverlegt wurde im Zuge der "Evakuierungsmaßnahmen" um die zentralen Umwidmungsanweisungen aus Berlin im Zuge der "Aktion Brandt" lässt sich somit explizit nicht belegen und nachvollziehen. Hier sind wir auf Rekonstruktionen zu diesen Aktionen aus den einschlägig überlieferten Dokumenten und Forschungen angewiesen ...
  • Und auch wenn der Historiker Götz Aly in einigen seiner Schriften von Beispielen berichtet, wo Angehörige, "die sich gekümmert haben", Erfolg hatten mit Entlassungsgesuchen von Patienten aus "Heilanstalten": Hier in Gütersloh scheint das in dieser Phase auch der lokalen Kriegsbombardierungen einfach ignoriert worden zu sein - aus welchen Gründen auch immer ... 
  • Im Oktober 2023 kam dann nach einer Recherche in einem polnischen Archiv durch ein jüngst ausgewertes Sterbetagebuch der NS-Tötungsanstalt "Tiegenhof" bei Gnesen neben dem "amtlich" beurkundeten Sterbedatum Erna Kronshages am 20.2.1944, "um 9 Uhr 30", eine neue Interpretation des tatasächlichen Ablebens auf, denn hier wird der "19.II.1944" handschriftlich im akribisch geführten Sterbetagebuch wohl einer damaligen Verwaltungsmitarbeiterin notiert. Im polnischen Archiv meint dazu ein Mitarbeiter, genau ließe sich diese offensichtliche Diskrepanz nicht mehr klären ...

Ein jüngst ausgewertetes Sterbetagebuch 

 

der "Gauheilanstalt Tiegenhof"/Dziekanka-Gniezno, das sich im

MUZEUM MARTYROLOGICZNE W ŻABIKOWIE in Luboń-PL befindet, setzt in der hier am 23.10.2023 eingetroffenen Kopie aus einem der dort vorhandenen akribisch geführten Sterbetagebücher das Ableben von Erna Kronshage augenscheinlich auf den "19.II. [2.] 1944" fest - das Sonder-Standesamt in Tiegenhof/Gnesen beurkundet jedoch den "20.2.1944, um 9 Uhr 30" als Sterbedatum ...

 

In dem Sterbetagebuch der „Gauheilanstalt Tiegenhof“/Gniezno, das sich im MUZEUM MARTYRO-LOGICZNE W ŻABIKOWIE in Polen befindet, wird das Ableben von Erna Kro[h]nshage offensichtlich auf den „19.II. [2.] 1944“ datiert - zusätzlich ist vermerkt, dass der Leichnam am „24.II.44“ in einem „Eig. Sarg [nach]Westen“ verbracht wird. Die Konfession ist mit "evgl.“ vermerkt.

 

Die Sterbeurkunde des Sonder-Standesamtes der deutschen Besatzung in Tiegenhof/Gnesen, datiert das Datum des Ablebens auf den „20. Februar 1944, um 9 Uhr 30“.

 

  • In dieser letzten Phase der "Euthanasie"-Ermordungen insgesamt gibt es oft Zuordnungsprobleme mit den exakten Sterbedaten: Die zentrale "T4-Verrechnungsstelle" in Berlin hat nachweislich mit Kostenabrechnungen verschiedener Pflegesatz-Kassen, Fürsorge-Verbänden und Versicherungsträgern zu tricksen gewusst, und konnte mit gezielten Falschangaben zusätzliche Mittel für die klammen NS-Kriegskassen generieren: (s. dazu die Stichworte: „Kostenabrechnung“ u. "Millionen-Becker" bei Wikipedia „Aktion Brandt“.

 

  • Den Hinweis auf die vorhandenen Sterbebücher entnahm ich dem Buch: Grazyna Gajewska, Maria Tomczak, Marek Kazmierczak, Anna Ziolkowska, Ewelina Szurgot-Prus: UNPRODUKTIVE ESSER, Poznan 2017:

 

 

Der nebenstehende Titel von 2017 beschäftigt sich in seinen Abschnitten in Teil II explizit mit den Zuständen

in der Anstalt "Tiegenhof"/Dziekanka besonders auch in den letzten Kriegsjahren.

 

Die z.T. reproduziert und abgedruckten, kommentierten Briefe vom Patienten Heinrich Wulf, der mit Erna Kronshage im gleichen Transport am 12.11.1943 aus Gütersloh nach "Tiegenhof" deportiert wurde, geben unverblümt Einblick in die dortige Situation - umd wenn auch die Briefe zensiert wurden und "geschönt" werden mussten, was Wulf auch offen nach Hause formuliert.

Heinrich Wulf überlebte die Tötungsanstalt - und sein Enkel Godehard Wulf konnte den lange verschwiegenen Opa und seinen Aufenthalt dort und seine Biografie anhand der hinterlassenen Briefe und Urkunden rekonstruieren.

 

Im Anhang dieses Sammelbandes werden die Opferzahlen im Tiegenhof beleuchtet - und es wird auf Aufzeichnungen verwiesen zu Sterbelisten, die ein unbekannter Patient oder Mitarbeiter hinterlassen hat, so dass damit noch manch blinde Opferbiografieflecken Farbe bekommen könnten.

 

 

Gajewska, Grazyna - Maria Tomczak, Marek Kazmierczak, Anna Ziolkowska, Ewelina Szurgot-Prus:

 

UNPRODUKTIVE ESSER

Studien über das Schicksal der Kranken und psychisch                                                                                                      Belasteten unter der NS-Herrschaft

 

                                                                                                Poznan 2017, UNIWERSYTET IM. ADAMA                                                                                                                           MICKIEWICZA W POZNANIU, >>> lies die vollständige                                                                                                  156-seitige Yumpu-Lese-Kopie  

 

 

 

Da Entlassungen aus dem Anstaltsbereich immer mehr erschwert werden - und schließlich geradezu rechtswidrig "untersagt" werden, sitzt Erna Kronshage nach der Zwangssterilisation"in der Falle"- und auch die Entlassungsgesuche des noch sorgeberechtigten Vaters führen ins Leere ...

 
Auffällig im Zusammenhang mit der „Aktion Brandt“ als vorgegebene "Luftschutz-Evakuierungs-Maßnahme" psychisch kranker Menschen sind zunächst die hohe Zahl der Verlegungen im Jahr 1943.
Damit wurden aber in erster Linie nur Bettenplätze freigeschaufelt zur Versorgung Kriegsverletzten in den Anstalten und deren Teil-Umwidmung in Hilfs-Lazarette ...
 
Die "evakuierten" Psychiatrie-Patienten wurden stattdessen jetzt auf diesen Täuschungs-Umwegen in Vernichtungs-Einrichtungen "verlegt", im Osten oder an die Peripherie des Reichsgebiets, um diese erneute verschleierte Fortführung der Massenmorde aus dem Aufmerksamkeits-Fokus der Kirchen und Teilen der Bevölkerung zu nehmen, die ja gegen die erste Massen-"Euthanasie"-Ermordungswelle 1939-1941 erfolgreich interveniert hatten (z.B. Kardinal Graf von Galen, Münster u.a.).
 
Hatten  also 1941 insgesamt 541 Kranke - davon 350 Patienten im direkten Zusammenhang mit der ersten "Euthanasie"-Aktion T 4 - die Anstalt Gütersloh verlassen, sinkt die Zahl im Jahr 1942 auf "nur" 52 Verlegungen. 1943 steigt die Zahl der verlegten Patienten schlagartig auf 712 an. 649 dieser 712 Gütersloher Kranken wurden in weiter östlich gelegene Anstalten transportiert...
 
 
quelle: LWL-Archiv
 
 
Den ersten Hinweis auf geplante Verlegungen enthielt der Runderlass IVg 8958/43–5100 des Reichsministeriums des Innern - hier an den Regierungspräsidenten in Minden vom 11. Mai 1943:
 
"Betr.: Verlegung von Insassen der Heil- und Pflegeanstalten aus luftbedrohten Gebieten.
 
Z.Zt. werden in größerem Umfange Verlegungen von Geisteskranken aus luftgefährdeten Gebiete in andere Anstalten durchgeführt. Wie bisherige Erfahrungen gezeigt haben, suchen Angehörige die Verlegung von Kranken dadurch zu vermeiden, daß sie sie auch gegen ärztlichen Rat nach Hause nehmen. Nach kurzer Zeit werden dann die Kranken der Anstalt wieder übergeben.
 
So sehr die Entlassung von Geisteskranken aus der Anstalt erwünscht ist, sobald ihr Geisteszustand dies zuläßt, so führen doch zu frühzeitige Entlassungen gerade in luftgefährdeten Gebieten zu unerwünschten Zuständen. Der Aufenthalt geistig anbrüchiger Personen in Luftschutzräumen usw. kann sehr leicht zu Unzuträglichkeiten führen, da sie in ihrem Verhalten unberechenbar sind.
Wird die Entlassung seitens der Angehörigen erst nach der Verlegung erwirkt, der Kranke also wieder in das luftgefährdete Gebiet zurückgebracht und dort nach kurzer Zeit wieder in die Anstaltsbehandlung gegeben, so ist die ganze Verlegung umsonst gewesen.
 
Ich ersuche daher, Geisteskranke aus luftgefährdeten Gebieten - sei es vor, sei es nach der Verlegung - nur zu entlassen, wenn sie als geheilt anzusehen sind oder mindestens zu erwarten ist, daß sie sich längere Zeit in Freiheit halten werden.
[Man denke an die Eingaben vom Vater Adolf Kronshage zur baldigen Entlassung von Erna im Zuge des Zwangssterilisierungs-Verfahrens - aber nun - nach der Sterilisierung - bestand eigentlich kein gesetzlich notwendiger Grund mehr, die immer noch bestehenden Ersuchen des Vaters abzulehnen ...] - und so heißt es auch weiter:  
Gegebenenfalls ist die Entlassung zu verweigern.
Bei Geisteskranken, die aufgrund der im Einzelfall gegebenen gesetzlichen Voraussetzungen (z. B. polizeiliche Einweisung wegen Gemeingefährlichkeit usw.) zwangsweise in der Anstalt zurückbehalten werden können, besteht ohne weiteres die Grundlage für die Ablehnung von Entlassungsgesuchen.
 
In Ermangelung einer solchen Grundlage wird der Anstaltsleiter die für den Bereich der Anstalt geltenden landesrechtlichen Bestimmungen über die zwangsweise Zurückbehaltung von Geisteskranken in geschlossenen Anstalten zur Anwendung bringen müssen.
 
Falls notwendig wird hierbei auch die Mithilfe der Polizei in Anspruch zu nehmen sein."  
 
Reichsministerium des Inneren 
gez. i. A. Dr. [med. Fritz] Cropp
 
 
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Die konkreten Vorbereitungen für die Durchführung der neuen Transporte begannen im September 1943.
 
 
Auf Anweisung des Provinzialverbandes werden alle Patienten der Provinzialheilanstalt Gütersloh dazu anhand von Melde- und Beurteilungsbögen erfasst - wobei damals schon das jeweilig abgestufte "Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung" (wie heutzutage dieser Terminus apostrophiert wird) - bei der das jeweilige Leistungsvermögen der Patienten zu Einordnung und Beurteilung in eine von drei Leistungs-Gruppen führte - (ähnlich wie noch heute im SGB IX, § 136,2, wo explizit die Aufnahmekriterien in eine Werkstatt für behinderte Menschen|WfbM nach ähnlich definierten 3 Leistungsgruppen bewertet werden ...) und so ausschlaggebend war für den zumeist "finalen" Entscheid: 
  • entweder "In-der-angestammten-Einrichtung-Verbleiben" [Daumen hoch = Leben] 
  • oder aber für "Abtransport"/"Verlegung" [Daumen runter = Tod] in eine der zumeist östlich gelegenen "Evakuierungs"-Anstalten  ...
[An diesem Punkt hätten alle Beteiligten hellhörig werden können, die nach dem Krieg so ahnungslos taten, als hätten sie nichts davon gewusst oder auch nur geahnt, dass die aufnehmenden "Evakuierungs"-Anstalten in den besetzten östlichen Gebieten eigentlich als reine Abschiebungs- und Tötungsinstitutionen den dezentral abgewickelten "wilden" NS-"Euthanasie"epochen besonders auch der "Sonderaktion Brandt" dienten - denn nun wurde offensichtlich, dass sich die pure und ausgesucht zugeordnet gewollte Aufnahme aller leistungsmäßig minderbemittelten Patienten kriegs- und volkswirtschaftlich "ökonomisch" nicht plausibel rechnen ließ: Man hätte auf Dauer einen viel höheren Personalschlüssel zur Pflege und Betreuung benötigt - da ja an eine angeblich personalreduzierende "aktivierende Behandlungspflege" nach Hermann Simon, Gütersloh, mit Arbeitstherapie und Gartenkolonne bzw. Viehversorgung oder festen Leistungs- und Aufgabenzuweisungen bei einem solchen bewusst "niedergeführten" Leistungsstand gar nicht mehr zu denken war !!! - also stellte man folgerichtig diese "Reisenden" in den Aufnahmeanstalten rasch und "nachhaltig" im weitesten Sinne "ruhig"
Ein weiterer eindeutiger Gesichtspunkt für die Fortführung der "Euthanasie" auch nach 1941 war die erneute Durchführung dieser "Evakuierungs"-Transporte und des sonstigen Know Hows durch die Gekrat, der "Gemeinnützigen Krankentransport GmbH", einer Tarnorganisation der Zentrale Tiergartenstraße 4 - T 4, die bereits die Krankentransporte zwischen 1939 und 1941 für die erste Welle der NS-"Euthanasie" zentral bis aufs I-Tüpfelchen genau organisiert hatte (Stichwort: "Graue Busse")]... 

Laut Verfügung des Oberpräsidenten der Provinz Westfalen - Landeshauptmann Kolbow - handelte es sich bei
 
Kategorie I : "um ständig pflegebedürftige, insbesondere bettlägerige, sieche, altersschwache und ähnliche Kranke"
 
Kategorie II : "aus sonstigen Gründen ständig arbeitsunfähige Kranke".
 
Kategorie III: "in Haus- und Außenarbeit einsatzfähige Kranke". Die Zuweisung zu dieser Gruppe sollte unter der Voraussetzung erfolgen, dass unter Aufsicht mit Regelmäßigkeit eine nützliche Arbeitsleistung erreicht wurde. Zu den Anstaltsbetrieben zählte seit 1943 auch das Lazarett der Wehrmacht.
 
Immer mehr Pflegehäuser, die eigentlich für die Unterbringung der psychisch Kranken der Anstalt vorgesehen waren, wurden von der Wehrmacht beansprucht. Neben der zunehmenden Luftgefahr war dies der handfeste Grund für die anstehenden Verlegungen. Es war in Zukunft nur noch für Patienten in der Anstalt ein Platz, die arbeitsfähig waren, d. h. die vor allem auch den Lazarettbetrieb mit aufrechterhalten konnten.
 
 
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Verordnung des Landeshauptmann Kolbow, Provinzialverband Westfalen, zur Erfassung aller Patienten in 3 Gruppen - hier an die Heilanstalt Marsberg, vom 15.06.1943. - Man kann auf dem Dokument deutlich erkennen, dass es sich um eine Durchschrift handelt. Ein gleiches Anschreiben wird die Heilanstalt Gütersloh, Direktor Dr. Hartwich, mit Sicherheit ebenfalls erhalten haben. Quelle: Archiv LWL - 
Bildquellen Akten: charite.de
 
 
Die vom Provinzialverband angeforderte Aufstellung der Patienten in drei Leistungs-Kategorien erfolgte am 09. September 1943. 178 Männer und 279 Frauen fielen in die Gruppen I und II, 338 Männer und 473 Frauen gehörten der Gruppe III an. Nach den Angaben der Anstalt (s. Korrespondenz im nächsten Abschnitt, Post) wurden zur Aufrechterhaltung der Anstaltsbetriebe aber nur 250 Männer und 350 Frauen benötigt. Damit konnten auch Patienten der Gruppe III verlegt werden - also erfolgte noch einmal eine willkürliche Selektion der nicht brauchbaren arbeitsfähigen Patienten.
 
Diese Verlegungs- und damit auch die "Desinfektions"-(Tötungs-)Entscheidungen in die jeweiligen Aufnahmeanstalten waren nun nicht mehr ärztliche Einzelfall-Entscheidungen, sondern entstanden "aus der Aktenlage", dem jeweilig abgestuften "Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung", und aus "zahlenarithmetischen" Überlegungen heraus ... - z.B. auch der kostengünstigen Auslastung der Transportzüge der Reichsbahn durch die GEKRAT usw. usf. ... 
"Die Zeit der ärztlichen Planungsamateure war abgelaufen" (Aly). Jetzt hatten die Leiter der Wirtschaftsabteilungen die Fäden in der Hand und gaben sämtlichen ökonomischen Fragen den Vorrang." (Mäckel, Dissertation: Prof. Fr. Nitsche, S.96). 

Die Verrechnungsbeamten entschieden nun allein aufgrund der festgestellten Arbeitsfähigkeitsdaten und aufgrund der benötigten Lazarettbettenzahlen. Das geschah am Schreibtisch - vor Ort - und ggf. noch mit dem Abteilungsarzt der abgebenden Anstaltsstation, der aber grundsätzlich aus rein ökonomischen statt aus medizinischen Gesichtspunkten entschied - und wurde aus den Abteilungen der alten Seilschaft "T4" jeweils angeordnet und "auf den Weg gebracht". Der Mensch, der angeblich erkrankte bzw. behinderte Mensch, war zur reinen "Verfügungsmasse" instrumentalisiert worden ... 

Am 05. Oktober 1943 tritt im Schriftverkehr eben auch diese GEKRAT wieder auf den Plan, deren Organisationszentrale unter der Führung eines Herrn Sawall zur Zeit nicht mehr in Berlin sondern in Hösel bei Ratingen/Rheinland war. Die vier Abteilungen der T4-Organisation hatten sich in verschiedene Standorte über das ganze Reich verteilt - aus Tarnungs- und aus Luftschutzgründen. So saß die Abteilung I, dessen Chef Dr. Nitsche war, beispielsweise am Attersee.

Die gesamte Transportorganisation rangierte unter dem Decknamen "Sonderaktion Brandt". Dieses Stichwort findet sich auf allen Briefen der Anstalt Gütersloh an die GEKRAT.

Diese erneute Beteiligung der GEKRAT, die ebenfalls seit 1939/1940 in den Heil- und Pflegeanstalten bekannt war, hat den letztendlich perfiden Zweck der "Verlegungen" in den abgebenden Einrichtungen vor Ort unterstrichen - zumindest aber "angedeutet", dass nicht nur der Luftschutz und der damit vorgetäuschte "Schutz der Patienten vor Kriegseinwirkungen" der alleinige Grund für die Verlegung war.

Zwischen dem 08. Oktober 1943 und dem 13. November 1943 verließen in kurzer Abfolge sieben Transporte mit insgesamt 649 Menschen im Rahmen der "Aktion Brandt" die Anstalt Gütersloh. Diese Zahl übertraf die Verlegungen im Jahre 1941 (350 Patienten) deutlich.
 
                                       verlegt nach
08.10.1943         60 Frauen Bernburg/Anhalt
14./15.10.1943 160 Männer Warta/Warthegau
18.10.1943         75 Frauen Bernburg/Anhalt
29.10.1943         50 Frauen Bernburg/Anhalt
12.11.1943        100 Frauen Warta/Warthegau
                          39 Männer
12.11.1943          50 Frauen Meseritz/Obrawalde
12.11.1943          50 Frauen Gnesen/Tiegenhof
                           50 Männer
13.11.1943          15 Frauen Bernburg/Anhalt
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Verlegungen aus den westfälischen Provinzial-Heilanstalten von Juni bis November 1943 (nach Walter 1996, S. 764) - Quelle: Heinz Faulstich, Hungersterben, 1998, S.411  - Vergrößern: auf Karte clicken - Gekennzeichnet ist der Abfahrtsort Gütersloh und der Ankunftsort "Tiegenhof/Gnesen" 
 
Textquelle vornehmlich: Rudolf Hans: Psychiatrischer Alltag im Nationalsozialismus, Hausarbeit, 1983 - und : Bernd Walter: Psychiatrie und Gesellschaft in der Moderne, 1996
 
 
Nach allem, was wir heute wissen, konnte Erna Kronshage wahrscheinlich zu den 473 Frauen  der "Gruppe III" gezählt werden, jener vom Provinzialverband angeforderten Aufstellung nach den vorliegenden Melde- und Bewertungsbögen (= "für den Anstaltsbetrieb verwendbar...") - hatte der Anstalts-Direktor Hartwich doch erst ein paar Monate zuvor Erna Kronshage vor dem Erbgesundheitsobergericht in Hamm bescheinigt, sie arbeite in der Anstaltsgärtnerei "doch auch ganz fleißig mit".
 
Es folgen 2 Reproduktionen der diesbezüglichen einschlägigen "Zahlen"-Korrespondenz zwischen dem Provinzialverband und der Heilanstalt Gütersloh - Quelle: LWL, Dr. Walter) - mit der die Schicksale der Verlegungskandidaten in die Vernichtungsanstalten letztlich besiegelt wurden. Die Entscheidungen zwischen Leben und Tod  wurden also mit bürokratischen Nützlichkeitsabwägungen in Fallzahlen getroffen. Der Mensch selbst trat hinter diese Fallzahlanforderungen zurück.  
 
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Zur Aufrechterhaltung der Anstaltsbetriebe mit dem neu eröffneten Lazarettbereich in Gütersloh benötigte man also nur 350 Frauen. 123 Frauen der besagten "Gruppe III" waren also überzählig und konnten somit auch "verlegt" werden. 
 
Da Erna Kronshage in den Unterlagen der Provinzialheilanstalt, die wir einsehen können, immer mal wieder als "anmaßend" und "frech" und "renitent" und "unruhig in der Nacht" bezeichnet wird - also vielleicht "missliebig" - und vielleicht nicht zuletzt wegen der mutigen mehrfachen Eingaben und Ein- und Widersprüche des Vaters und Sorgeberechtigten Adolf Kronshage (Erna Kronshage war bis zum 11.12.1943 immer noch minderjährig!!! - ) und seinem in dieser Hinsicht mehrfach gestellten Antrag auf rasche Anstaltsentlassung (= diesem Antrag hätte zumindest nach der erfolgten Sterilisation im August 1943 m.E. nichts mehr im Wege gestanden ...) - das alles zusammen könnte vielleicht den Ausschlag gegeben haben, dass Erna Kronshage mit auf diese Abtransport-Liste gesetzt wurde. Sie war arithmetisch "einfach über" - überzählig - und mit ihr weitere 122 Frauen ...
 
Neuere Informationen besagen, man habe vielleicht gar nicht so sehr auf die Leistungsgruppen abgehoben oder auf "Verhalten" bzw. "Sanktionen" gegenüber einzelnen Patienten bei der Zusammenstellung der Transportlisten - ausschlaggebend sei vielleicht vielmehr der komplette Räumungsbedarf mancher Häusertrakts im Gütersloher Anstaltsgebiet gewesen, um die von der "Sonderaktion Brandt" angeforderten und benötigten Betten zur Verfügung stellen zu können, damit die zu evakuierenden Kliniken und Lazaretteinrichtungen im Ruhrgebiet bei den dortigen andauernden Bombenangriffen entlastet werden konnten ...
 
Warum im Zuge der "Aktion Brandt" aber gleichzeitig immer wieder auf die angebliche "Evakuierung aus Luftschutzgründen" der Heilanstalten als Verlegungsgrund an sich verwiesen wurde - aber nun in diese "gefährdeten" Räumlichkeiten und Betten verletzte Zivilisten und Soldaten aus angeblich noch mehr gefährdeteren Gebieten verfrachtet wurden, bleibt etwas schleierhaft - zumal ja die Liquidierungen dieser nun tatsächlich zu "Ballast" gewordenen psychiatrischen Patienten eindeutig mit im Kalkül standen ...- und im Osten ebenfalls nur auf gerade erst durch Krankenmorde freigewordene Bettenkapazitäten treffen konnten ... 
 
Inwieweit dieser "Verlegungs"-Transport am 12.11.1943 mit den sorgeberechtigten Angehörigen kommuniziert wurde - und vielleicht dazu eventuell sogar diesbezügliche Genehmigungen eingeholt wurden - (Stichwort dazu auch: "Aufenthaltsbestimmung" ... s.d.) - oder ob den Angehörigen im Nachhinein einfach "Vollzug" mitgeteilt wurde, entzieht sich z.Z. im Fall Erna Kronshage noch meiner Kenntnis ...
 

 

  • In diesem Zusammenhang ist folgender diesbezüglicher Mailverkehr zu dokumentieren:

 

Von: LWL-Archiv, Münster

 

Sehr geehrter Herr Wieand,

nachdem ich bereits mehrmals im Archiv LWL im Bestand 661 (LWL-Klinik Gütersloh) nach Informationen über Erna Kronshage recherchiert habe, halte ich es für unwahrscheinlich, dass sich – trotz vielversprechender Aktentitel im Findbuch – noch bislang unbekannte Informationen über Erna Kronshage im Archivbestand befinden. Sofern Korrespondenzen der Anstalt mit Angehörigen von verlegten Personen geführt worden sind und es hierzu eine Aktenführung dieser Unterlagen außerhalb der Patientenakten gegeben haben sollte, so sind diese Akten nicht im Archiv LWL überliefert, weder im Bestand 661 noch in den anderen hier vorliegenden Klinikbeständen. Es tut mir aufrichtig leid, dass ich Ihnen zu diesem Sachverhalt keine positivere Information übermitteln kann.

Sollten Sie dennoch Dritte mit einer Recherche beauftragen wolllen, so finden Sie auf der Homepage des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen eine Liste mit Recherchedienstleistern für OWL (
https://www.archive.nrw.de/landesarchiv-nrw/geschichte-erfahren/familienforschung/zum-einstieg).

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Hans-Jürgen Höötmann

7.06.2023

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: eddywieand@onlinehome.de <eddywieand@onlinehome.de>
Gesendet: Montag, 5. Juni 2023 11:13
An: Höötmann, Hans-Jürgen <Hans-Juergen.Hoeoetmann@lwl.org>
Betreff: Aw: AW: Recherche zum Aktenverbleib betr. meine Tante Erna Kronshage



Sehr geehrter Herr Höötmann,

danke für Ihre Rückmeldung. Auch Herr Meißnest aus Gütersloh meint, die vielleicht relevanten Unterlagen lagerten jetzt wohl in Gänze in Münster (Archiv LWL).

Ich habe unter dem umfangreichen Archivportal im Menüpunkt „Gesundheitswesen und Psychiatrien/Einzelne Einrichtungen“ das Online-Findbuch zum Bestand 661 (LWL-Klinik Gütersloh) angeclickt - und eine relative spannende Stichworte dazu gefunden.

Aber ich weiß nicht, wie ich konkret an Infos komme, ob und wo sich ggf. definitiv Dokus zur Causa Erna Kronshage aus 1943 finden ließen.
Inwieweit geben Findbücher und Verzeichnisse auch dazu Auskunft - oder wie kommt man in Recherchen einem eventuellen relevanten Bestand auf die Spur ?

Gibt es beim LWL-Archiv Experten-"Scouts", die man (vielleicht auch gegen Entgelt) mit einer diesbezüglichen Recherche betrauen kann ?
Für Familienforscher und Genealogen gibt es ja Info-Sprechstunden zu solchen Fragen - aber ich weiß nicht, ob so etwas auch für den Bestand 661 existieren könnte ???

Ich freue mich auf eine diesbezügliche Rückantwort - herzliche Grüße
Edward Wieand



Gesendet: Montag, 22. Mai 2023 um 12:47 Uhr
Von: "Höötmann, Hans-Jürgen" <Hans-Juergen.Hoeoetmann@lwl.org>
An: "'eddywieand@onlinehome.de'" <eddywieand@onlinehome.de>
Betreff: AW: Recherche zum Aktenverbleib betr. meine Tante Erna Kronshage


Sehr geehrter Herr Wieand,

im Zweifel lässt sich nie hundertprozentig genau klären, ob alle historisch relevanten Unterlagen in das Archiv des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (Archiv LWL) gelangt sind, oder ob sich - aus welchen Gründen auch immer - noch entsprechendes Material vor Ort befindet. Auch wenn in der Gütersloher Festschrift „Von der Provinzialheilanstalt zum LWL-Klinikum Gütersloh“, Ute Pothamann u.a. (Köln 2019), in den Fußnoten häufig der Begriff „Archiv LWL-Klinikum“ auftaucht, denke ich, dass ein Großteil der Aktenüberlieferung sich mittlerweile im Archiv LWL befindet.

Im Archivportal „Archive in Nordrhein-Westalen“ (
www.archive.nrw.de <http://www.archive.nrw.de> ) finden Sie unter dem Archiv des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe im Menüpunkt „Gesundheitswesen und Psychiatrien/Einzelne Einrichtungen“ auch das Online-Findbuch zum Bestand 661 (LWL-Klinik Gütersloh). Die wünschenswerte Transparenz der hier vorhandenen Quellen zur Klinik in Gütersloh ist damit gewährt.
Ich bin gespannt, was ihre Anfrage an die Klinik und das Stadtmuseum erbringt. Sofern sich herausstellen sollte, dass sich an diesen Stellen noch Unterlagen befinden, wäre ich für eine Benachrichtigung überaus dankbar.

Mit besten Grüßen
Im Auftrag
Hans-Jürgen Höötmann

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: eddywieand@onlinehome.de <eddywieand@onlinehome.de>
Gesendet: Freitag, 19. Mai 2023 11:17


An:

info@lwl-klinik-guetersloh.de;

info@stadtmuseum-guetersloh.de;

Höötmann, Hans-Jürgen <Hans-Juergen.Hoeoetmann@lwl.org>


Betreff: Recherche zum Aktenverbleib betr. meine Tante Erna Kronshage

LWL-Klinik Gütersloh Herrn Bernd Meißnest,
LWL-Archiv, Münster, Herrn Höötmann,
Stadtmuseum Gütersloh


Sehr geehrte Damen und Herren,

seit fast 40 Jahren recheriere ich das Patientenschicksal meiner Tante Erna Kronshage, die von Herbst 1942 bis zu ihrer Depotation im November 1943 Patientin in der Provinzial-Heilanstalt Gütersloh war.

Durch das Auffinden der Erbgesundheitsakte im Stadtarchiv Bielefeld und der Lektüre der einschlägigen Literatur konnte ich den Aufenthalt in Gütersloh einigermaßen recherchieren, allerdings fehlen mir konkrete Unterlagen direkt zu ihrer polizeilichen Einweisung am 24.10.1942 - und Unterlagen und z.B. die Korrespondenz zwischen Heilanstalt und ihrem Elternhaus ab August 1943 bis zu ihrer Deportation - sowie Unterlagen zu dem Verlegungsbeschluss nach Tiegenhof/Gnesen und die dazu erfolgte Korrespondenz mit den damals noch sorgeberechtigten Eltern, die m. E. nicht unbedingt ausschließlich nur Teil ihrer nicht auffindbaren Krankenakte in Tiegenhof/Dziekanka sein müssten, da Durchschläge und Kopien sicherlich auch im Bestand der Heilanstalt verblieben.

Das Stadtmuseum Gütersloh zeigte in 2020 zum 100-jährigen Bestehen der LWL-Klinik Gütersloh eine Ausstellung und berichtete in dem Begleittext dazu von der "historische Sammlung im LWL-Klinikum, die dort in mehreren Büro- und Kellerräumen lagerte".

Solchen wohl etwas gestreut untergebrachten Beständen erwähnte zu Beginn meiner Recherche auch Frau Dr. Jutta M. Bott, die damals als Psychologin im Klinikum tätig war.
Auch die "Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt": "Psychiatrischer Alltag im Nationalsozialismus" von Rudolf Hans, Bochum 1983, erwähnte damals derartige Bestände in Gütersloh.

Sind in diesen Beständen ggf. Unterlagen zu den oben genannten "weißen Flecken" in der Recherche zum Schicksal meiner Tante gegeben?

Meine konkreten Fragen lauten nun: 1. Liegen solche einsehbaren Bestände in der Historischen Sammlung im LWL-Klinik Gütersloh vor?
2. Sind diese Unterlagen inzwischen in Gänze ins LWL-Archiv nach Münster verbracht worden?
3. Befinden sich solche infragekommenden Unterlagen seit 2020 dauerhaft im Stadtmuseum Gütersloh?

Für eine jeweilige detaillierte Rückantwort oder auch konkrete Tipps zum Verbleib wäre ich Ihnen dankbar.

Danke - mit freundlichen Grüßen


Edward Wieand

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